Niedergebrannte Dörfer, getötete Kinder – was die Rohingya-Flüchtlinge derzeit erleben, sorgt auf der ganzen Welt für Entsetzen. In deren Heimat Myanmar herrscht eine andere Sicht der Dinge. Die Berichte stimmten nicht, alles Fake News, heißt es.
Wegen ihres Schweigens zum Leid der Rohingya steht Myanmars Regierungschefin Aung San Suu international massiv in der Kritik. Als sie sich am Dienstag in einer Rede erstmals ausführlich dazu äußert, versammeln sich in Rangun, der größten Stadt ihres Landes, Hunderte Menschen vor dem Rathaus. STIN berichtete hier.
Sie demonstrieren nicht etwa gegen Suu Kyi, sondern bejubeln sie. Viele von ihnen tragen Aufkleber auf den Wangen – mit der Aufschrift „Wir stehen hinter Aung San Suu Kyi“. Wenn sie wütend sind, dann nur über die Kritik aus dem Ausland, die auch nach der Rede nicht aufhört.
Berichte über Gräueltaten an den Rohingya im westlichen Bundesstaat Rakhine seien nicht wahr, meint Myo Myint Aung, ein junger Englischlehrer in der Menge. „Es gibt viel Propaganda“, sagt er. Über die Angehörigen der muslimischen Minderheit, die seit Wochen zu Hunderttausenden in das Nachbarland Bangladesch fliehen und dort laut Hilfsorganisationen akute Not leiden, fügt er hinzu: „Wie ich sehe, sind sie in der internationalen Gemeinschaft und unter den internationalen Organisationen gut vernetzt.“ Sie hätten scheinbar viele Unterstützer und beträchtliche finanzielle Mittel.
Die gewaltsame Vertreibung der Rohingya, die Menschenrechtler und einige Regierungschefs als „ethnische Säuberung“ bezeichnen, hat im ehemaligen Birma kaum für Aufsehen gesorgt. Wie ihre Regierung betrachten die meisten Birmaner die staatenlosen Rohingya als illegale Einwanderer aus dem überwiegend muslimischen Bangladesch. Die „Räumungsoperationen“ der Armee als Antwort auf Angriffe einer Rohingya-Miliz auf Polizei und Militärposten wird in Myanmar im Allgemeinen als legitimer Einsatz im Kampf gegen den Terror gesehen.
Den Flüchtlingen und Hilfsorganisationen zufolge haben Sicherheitskräfte und Mobs geplündert und vergewaltigt, Rohingya-Dörfer niedergebrannt und fliehende Menschen erschossen. Die Medien hier berichten stattdessen von angeblichen Angriffen militanter Rohingya auf buddhistische und hinduistische Zivilisten. Die Massenflucht erwähnen sie kaum.
Es ist allerdings die Berichterstattung aus dem Ausland, die den Menschen hier übel aufstößt. „Die internationalen Medien sollten die Situation anderer ethnischer Gruppen in Rakhine nicht ignorieren“, sagt der junge Aktivist Sit Maw, der zu den vielen Nutzern sozialer Medien gehört, die ihre Profilbilder geändert haben, so dass dort nun zu lesen ist: „Ich stehe hinter Aung San Suu Kyi.“ Viele Menschen seien wie er der Meinung: „Die Darstellung dieses Problems ist sehr unausgewogen.“
„Ich habe noch nie, in keinem Land, eine Situation erlebt, wo die Ansichten darüber, was an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit passiert, so gegensätzlich sind“, schreibt der Historiker Thant Myint-U auf Twitter.
Nur eine kleine Anzahl an Aktivisten sprechen die Not der Rohingya an. „Das ist ein Alptraum, und es muss sofort gestoppt werden“, heißt es in einer Mitteilung der „Karen Women’s Organization“, die sich für Minderheiten in Myanmar einsetzt. „Für alle Menschen, die ein Gewissen haben, ist es an der Zeit, etwas zu tun.“
Thet Swe Win, ein 31-jähriger Aktivist für interreligiöse Verständigung, schreibt im Internet viel über die Rohingya. „Religion ist als Waffe eingesetzt worden, um die Gesellschaft zu spalten, besonders in diesem Land“, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur.
Muslime würden in Myanmar als etwas Fremdes gesehen, erklärt Khin Zaw Win, Direktor des Politikberatungsinstituts Tampadipa in Rangun. In einem Beitrag für das australische Online-Magazin „New Mandala“, das sich der Politik und Gesellschaft in Südostasien widmet, hat er vor wenigen Tagen einen Beitrag mit der Überschrift „Zäune und Ghettos sind nicht die Lösung in Rakhine“ geschrieben.
Seit dem bisher letzten Gewaltausbruch im Jahr 2012 müssten Myanmars Rohingya praktisch in Konzentrationslagern leben, heißt es da. So erzeuge man todsicher Gewalt, Kriminalität und Militanz, schreibt Win, der unter der Militärdiktatur elf Jahre lang in Haft saß. „Diese Politik ist ebenso fehlgeleitet und unwirksam wie unmenschlich.“
Auch wenn diese Darstellung längst nicht an die Analyse von Hans-Bernd Zöllner in der SZ heranreicht: Immerhin bemüht man sich endlich, nicht nur die Gräuel-Märchen einzelner „Aktivisten“, sondern auch andere Positionen anzuhören und aufzuzeigen.
Das ist schon mal ein Anfang.